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Da ich ein toleranter Mensch bin, zumindest was die Art und Weise des Motorradfahrens angeht, bin ich gerne dem Ruf des Hondahändlers meines Vertrauens gefolgt.

Wie schrieb mir Christof Filusch so schön über die sozialen Medien: Du, ich hab` da was, das musst Du unbedingt probieren!

Also ist Flying Haggis diesem Ruf erwartungsfroh gefolgt und stand dann da, vor einem Monument von Motorrad. Kurz in der Erinnerung gekramt – Wie war das noch damals? Genau – ein Boxermotor. Der ist geblieben, nur sind aus den 4-Zylindern eben irgendwann in der Evolution 6-Zylinder geworden.

Und getreu dem immer noch gültigen Spruch: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum, verfügt das aktuelle Aggregat über 1.833 ccm. Hätte auch ein Automotor werden können, aber ich stehe vor der aktuellen Honda Gold Wing.

Was spricht das Datenblatt weiter? 126,5 PS bei 5.500 U/min und 170 Nm bei 4.500 U/min. Klingt im ersten Moment wenig, wenn man von dem Gesamtgewicht (fahrfertig) von 365 kg ausgeht und dann noch das Gewicht von Fahrer und Sozia hinzuzählt. Aber wir sprechen hier ja von einem Motorrad, welches nicht konzipiert wurde um auf der Nordschleife die magische Zehnminutengrenze zu unterbieten. Und die aktuelle Gold Wing hat im Vergleich mit der Vorgängerin sogar abgespeckt. Da standen 400 kg + X auf der Waage.

Wenn man mit der Standardvariante unterwegs ist, dann schaltet man sich durch ein 6-Gang-Getriebe. Ich sitze auf der DCT-Variante mit dem 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe von Honda. Bekanntermaßen funktioniert das DCT-Getriebe sowohl manuell als auch automatisiert und kommt dann dem Fahrbetrieb in einem amerikanischen Straßenkreuzer sehr nahe – easy living. Das DCT schaufelt nochmals Gewicht auf die Waage und die zeigt dann 383 kg an. Da man die Fuhre auch irgendwann einmal auf einem Parkplatz rangieren muss, ist auch ein Kriechgang vor- und rückwärts vorhanden. Schon praktisch, denn ansonsten hätte man als schiebender Fahrer schnell die Wasserstandsmeldungen in der Kombi. Vollkommen losgelöst rangiert man jedoch mit dieser Hilfe den Koloss vor und zurück, genau dahin wo man ihn eben hinhaben will. Jeder Kinderwagen mit Nachwuchs ist schwieriger zu rangieren.

Also rollen wir mal los und schauen uns an welche Gefühle und Emotionen dieses Motorrad bei uns frei macht oder erweckt. Um es direkt vorwegzunehmen, das Teil hat mir ein Grinsen ins Gesicht getrieben.

Die Sitz- und Griffheizung können wir heute getrost auslassen. Wir haben wohlige Motorradtemperaturen. Die Sitzheizung für den Mitfahrer oder Mitfahrerin lässt sich auch ausgesprochen kommod direkt neben dem Sitz einstellen.

O-Ton der besten Sozia von Allen: „Wer den Sitz hier für unbequem hält, der hat sie nicht mehr alle!“ Alle weiteren Kommentare zum Thema Sitzkomfort Sozius erübrigen sich damit.

Inwieweit die Heizungen in Betrieb sind sieht man wunderbar an der Anzeige im Display.

Nach ein paar Kilometern stelle ich die elektrisch verstellbare Scheibe in höchste Position und ab dann sitzen meine knappen 1,90 m ohne jeglichen Fahrtwind kommod auf dem ultrabequemen Sitzpolster wie auf der heimatlichen Couch. Take me home country roads! John Denver käme klanglich gut rüber bei zwei Frontlautsprechern und zwei weiteren hinten im Topcase.

Ach ja – die Gold Wing hat ein Gedächtnis, Dank der mittlerweile üblichen Helferlein. Nach dem Ausschalten fährt die Scheibe wieder in die unterste Position. Beim nächsten Start wird die Scheibe ab einem Tempo von 5 km/h in die letztmals genutzte Stellung gebracht.

Ein wenig schmunzeln musste ich, als ich den Sport-Modus bei den Fahrmodi gefunden hatte. Bitte nicht mit einer Erwartungshaltung in diesen Modus schalten, dass jetzt aus der Gold Wing eine ZX 10 oder Panigale wird. Das Fahrwerk der Honda wirkt etwas straffer und der Motor spricht etwas direkter an. Mit der DCT-Kupplung merkt man, dass der Motor in den Gängen etwas höher ausdreht und das war es auch schon, was mein Gefühl angeht.

Dem Charakter der Gold Wing kommt am ehesten der Econ-Modus entgegen, also der Ökonomische. Eine weitere Alternative wäre dann noch der Tour-Modus, der ebenfalls das Gesamtkunstwerk Honda Gold Wing auf das einstellt, wofür sie auch gebaut wurde – komfortabel reisen. Der Tour-Modus ist auch die Grundeinstellung der Fahrmodi. Eine Regenvariante haben wir natürlich auch noch. Diese entspricht aber von den Voreinstellungen weitestgehend dem Econ-Modus.

Das elektronische Fahrwerk des Dickschiffes, mit einer Doppel-Querlenker-Aufhängung vorne, erlaubt die genreüblichen Einstellungen, die da wären: Fahrer / Fahrer mit Gepäck / Fahrer und Beifahrer / Fahrer mit Beifahrer und Gepäck. Gerade die Vorderradaufhängung verrichtet einen Top-Job. Saubere Rückmeldung vom Vorderrad, jede Unebenheit wird glattgebügelt. Hin und wieder schwingt das Heck sachte nach, ohne jedoch störend zu wirken. Der Riesenbrocken liegt gut auf der Straße und signalisiert an den Fahrer: wir haben alles im Griff. Auf den Dolomitenpässen hatte ich immer ein mitleidiges Lächeln für die Gold Wingfahrer übrig: Die armen Kerle wuchten hier einen derartigen Apparat hoch! Nach den jetzigen Erfahrungen weiß ich, dass dies komplett unangebracht ist. Wer hier nicht vor hat Bestzeiten zu fahren kommt komplett entspannt auf einer Passhöhe an.

Damit sind wir beim Thema Gepäck. Hier haben wir im direkten Vergleich zu der „Alten“ aus meiner Sicht die Änderung, welche am meisten auffällt. Mit Koffern (je 30 Liter) und Topcase (50 Liter) stehen bei der neuen Gold Wing 110 Liter Ladevolumen zur Verfügung. Bei der aktuellen Gold Wing ist damit der Laderaum um 40 Liter zur Vorgängerin geschrumpft. Da Flying Haggis und die beste Sozia von Allen immer mit Bedacht für den Urlaub packen reicht dies allemal. Man will schließlich nur in Urlaub fahren und nicht auswandern.

Wie sieht jetzt die Peripherie der neuen Gold Wing aus? Wir haben ja jetzt die ganze Zeit von komfortabel reisen gesprochen. Formatfüllend prangt da ein 7-Zoll-Display vor uns. Das zeigt uns das, in allen Modellen serienmäßige, Navigationssystem an. In der Größe natürlich gut lesbar.


Die „normalen Armaturen“, also Tacho und Drehzahlmesser sind analog daneben. Da man heutzutage wohl immer und überall erreichbar sein muss, besteht die Möglichkeit über Bluetooth das jeweilige Smartphone mit dem Display zu koppeln. Am besten soll das wohl mit dem Apple-eigenen I-Phone funktionieren, was ich aber nicht getestet habe. Einmal, weil ich kein I-Phone besitze und zum Zweiten, weil ich gar nicht überall erreichbar sein möchte. Anrufe meines Lehnsherrn auf einer Motorradtour würden bei mir nämlich massive Störungen im Magen- Darmtrakt erzeugen.

Was machen wir, wenn wir die Riesenfuhre zum Stillstand bringen möchten? Wir vertrauen auf die Bremsen der Gold Wing. Im Sprachgebrauch von Honda auf das Dual-Combined-Braking-System. Also ist da irgendetwas miteinander kombiniert. Tritt man auf die Hinterradbremse aktiviert man nicht nur die hintere 316er-Scheibe mit ihrer Dreikolbenbremszange, sondern auch die beiden vorderen 320er-Scheiben mit ihren Sechskolbenzangen.

Im konkreten Ernstfall sollte man jedoch auch vorne in die Bremse greifen, so sind wir ja alle konditioniert und dann auf das gut regelnde ABS hoffen. Apropos ABS. Euer Flying Haggis ist jetzt seit Jahren das wunderbare BOSCH-Kurven-ABS der Manufaktur aus Mattighofen gewöhnt und hat dies auch schätzen gelernt. Aus welchen Gründen auch immer verzichtet Honda bei der aktuellen Gold Wing auf ein Kurven-ABS. Ob man sich in Japan etwas technische Luft lassen möchte für die nächste Modellpflege? Wer weiß? Ansonsten gibt es bei den Bremsen nichts zu meckern. Alles auf dem Stand der Zeit, top solide und hinterlässt beim Fahrer ein sicheres Gefühl.

Wie ist jetzt das Fazit? Honda hat diesen kompletten Neuaufbau des Produktes Gold Wing sicherlich nicht unter dem Grundgedanken gemacht hohe Zulassungszahlen zu generieren. Dies lässt der Preis jenseits der 30.000 Euronen nicht zu und außerdem läuft der Absatz mit anderen Modellen der Produktpalette mehr als zufriedenstellend. Die aktuelle Gold Wing zeigt was möglich ist, wenn eine ambitionierte Firma ALLES in einem Motorrad verwirklicht, was man sich in einem großen (wirklich sehr großen), hubraumstarken Reisemotorrad vorstellt. Die Honda Gold Wingfahrer sind eine Familie. Und genau diese Familie wird die Maschine ansprechen. Sehr wahrscheinlich auch noch den ein oder anderen Interessenten, der mit einer BMW K 1600 GT nichts anzufangen weiß. Denn das dürfte die einzige richtige Konkurrenz für die Gold Wing in diesem Marktsegment sein. Wenn auch noch einige Fahrer aus dem Harley-Lager hinzukommen wird sich Honda sicherlich auch nicht beschweren. Das technisch hochwertigere Motorrad haben sie ohnehin auf die Beine oder besser Räder gestellt. Und ein Imageträger ist die Gold Wing für ihren Eigner allemal. Ich bin mir sicher, die neue Gold Wing wird ihre Käufer oder Käuferinnen finden. Die Zielgruppe der Fernreisenden oder Cruiser ist groß genug und genau für die ist SIE gemacht. Wie hat Christof Filusch so schön gesagt: Der schnellste Fernsehsessel der Welt!

Die Route 66 lässt schon einmal grüßen. Take me home country roads!