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Flying Haggis hat mal wieder eine Maschine etwas unter die Lupe genommen. Etwas Neues und doch hat man das Gefühl auf eine alte Bekannte zu treffen. Die aktuelle Version der Africa Twin aus dem Hause Honda war kurz meine Begleiterin.
Nein – Nicht die Adventure. Die Standardvariante wurde von mir bewegt. Aber mit DCT, also dem Doppelkupplungsgetriebe von Honda.
Vor einigen Jahren durfte ich einmal eine der ersten Maschinen mit diesem Ausstattungsmerkmal fahren. Es war eine Crosstourer und euer werter Erzähler war wohl mental noch nicht so weit eine derartige technische Entwicklung zumindest als Option wahrzunehmen und zu goutieren. Nach einigen Kilometern schaltete ich permanent wieder von Hand (mit den Schaltern – natürlich ohne Kupplung), da die Schaltpunkte des DCT einfach nicht mit meinem Fahrstil übereinstimmen wollten und das Ganze irgendwie nervig war.
Irgendwie praktisch die ganze Geschichte und dazu auch noch unauffällig für den Fahrer. Die Schaltvorgänge erfolgen ohne Lastwechsel und wenn man mit der Maschine anhält schaltet das Getriebe automatisch in den ersten Gang. Kurzer Dreh am Gas und die Fuhre macht sich wieder auf den Weg. Hat man den Hang dazu diesen Halt in der Neutralstellung zuzubringen (was nicht nötig ist), so kann man an der rechten Schaltereinheit mit einem Druck auf „N“ den Leerlauf einlegen. Im Stadtverkehr ist das DCT sicherlich eine exzellente Lösung.
Apropos Leerlauf. Falls man die Maschine irgendwo im Gefälle im Leerlauf auf dem Seitenständer abstellt, dann kann man auf der linken Lenkerseite, also dem „früheren Kupplungsgriff“ die Handbremse aktivieren. Ähnlich der Funktion bei einem PKW ist die Maschine jetzt gegen Wegrollen gesichert. Ein kleiner Bügel an dem Hebel arretiert das Ganze und mit einem kurzen Zug am Hebel wird die Arretierung wieder gelöst. Simpel, aber durchaus hilfreich.
Wir waren aber schon an der rechten Schaltereinheit. Mit dem Schalter D / S lässt man nach dem Leerlauf den ersten Gang einrücken. Gut ablesbar im Display würden wir jetzt auch ein „D“ erkennen. Also die ökonomische Variante für eine gemütliche Fahrt über Land und einen zurückhaltenden Spritverbrauch.
Wollen wir dem potenten Motor richtig die Sporen geben dann betätigen wir nochmals den Schalter und das Management wird auf „S“ wie Sportbetrieb umgestellt. Jetzt merken wir beim Gasaufziehen auch wie das DCT zügig seiner Arbeit nachkommt und die Gänge blitzsauber hochschaltet. Gleiches gilt bei der Motorbremse, wenn wir Gas wegnehmen. Als ob man leichtes Zwischengas vernehmen könnte werden die Gänge ruckfrei heruntergeschaltet.
Dabei ist ein sonores Brummen aus dem Edelstahlendtopf zu hören. Kaum zu glauben, dass dieses Geräusch gesetzeskonform ist, aber Honda ist ja bekannt für Fertigung auf hohem Niveau und Legitimität. Sauber verarbeitet ist der Endtopf und aus meiner Sicht gibt es keinen Grund in die Zubehörkiste zu greifen.
Das die 95 PS (bei 7.500 U/min) und 98 Nm Drehmoment (bei 6.000 U/min) dem Africa-Twin-Treiber nicht den Schweiß auf die Stirn treiben verhindert das 2-Kanal-ABS und eine 7-stufige Traktionskontrolle. Am Hinterrad ist das ABS genreüblich abschaltbar. Es handelt sich aber nicht um ein Kurven-ABS. Irgendwie schade – ich hatte mich an diese zusätzliche Sicherheitsreserve meiner KTM irgendwie schon gewöhnt. Vollgetankt bringt die Twin 240 kg auf die Waage (laut Herstellerangabe) und die vorhandene Motorleistung ist de facto ausreichend für alles was die Landstraße fordert. Wahrscheinlich auch der neuen Airbox geschuldet, die vor allem im mittleren Drehzahlbereich für mehr Leistung sorgen soll. Wie das Ganze dann vollgepackt mit Sozia aussieht muss man noch erFAHREN. Insbesondere wenn bei längeren Anfahrten auch einmal auf der Autobahn Kilometer gefressen werden sollen.
Also jetzt den „S“-Modus eingeschaltet, der 3 Mappings für sportliche Fahrweise optional zur Verfügung hat und die heimatlichen Kurven in Angriff genommen. Natürlich habe ich immer als Referenz meine „Vroni“ (KTM 1190 @venture) im Kopf.
Apropos Modi und Einstellungen. Bei der Africa-Twin hat man drei Voreinstellungen: Urban, Tour und Gravel, die bereits vorbelegt sind. Modus Tour mit maximaler Leistung (1), mittlerer Motorbremse (2) und starker Traktionskontrolle (6). Urban mit mittlerer Leistung (2) und ebenfalls mit mittlerer Motorbremse (2) und starker Traktionskontrolle (6). Gravel, welches für einen Geländeeinsatz vorgesehen ist mit geringer Leistung (3), starker Motorbremse (3) und starker Traktionskontrolle (6). Weiterhin steht noch der freibelegbare Usermodus zur Verfügung, den der Fahrer oder Fahrerin nach eigenem Gusto belegen kann.
Das konventionelle Fahrwerk der Africa-Twin steckt den teilweise schlechten Belag und die Kurven sauber weg. Das Federbein lässt sich manuell in Druck- und Zugstufe regulieren. Bei der USD-Gabel muss man ebenfalls Hand anlegen.
Im Fahrbetrieb verhält sich die Africa-Twin positiv unspektakulär. Auffällig ist beim etwas stärkeren Anbremsen vor Kurven, dass die Gabel doch recht weit eintaucht.
Das ist natürlich dem langen Federweg geschuldet, aber man muss sich darauf einstellen. Insbesondere wenn man, wie euer werter Erzähler, von einer KTM @venture umsteigt. Also andere Linie suchen und den Kurvenablauf anders planen, damit man nicht vom ausfedernden Vorderrad überrascht wird.
Damit sind wir beim Überraschen. Ich hatte natürlich eine Wegstrecke gewählt, die ein repräsentatives Urteil ermöglicht. Auf der Route war dann auch ein richtiges „Hundseck“, eine Rechts-Spitzkehre leicht hängend, eingeplant. Genau im Scheitel hat mir das DCT dann einen unpassenden Schaltvorgang gesetzt, was die Linie ziemlich verhagelte und die Africa-Twin nach aussen trieb. Der abgelegenen Streckenführung sei Dank – kein Gegenverkehr, sonst wäre es recht ungemütlich geworden. Ich verbuche den Vorgang als persönlichen Fauxpas, der Unkenntnis in Sachen DCT und der vielfachen Einstellmöglichkeiten geschuldet.
Was gibt es sonst noch zu vermelden. Die rechte Schaltereinheit verfügt noch über eine Option in den G-Modus zu schalten. Hier wird das Ansprechverhalten des DCT insbesondere für den Geländeeinsatz noch sensibler geregelt.
Honda hat der Africa-Twin auch eine neue, leichtere Batterie spendiert. Lediglich 2,3 kg bringt die Litium-Ionen-Batterie auf die Waage.
Jetzt kommen wir zu dem Punkt der letztendlich wohl bei jedem von uns der ausschlaggebende Punkt ist. Wieviel Motorrad bekomme ich für mein Geld? Um die 13.000,- Euro ruft Honda für die Africa-Twin auf. Soll das DCT Getriebe mit dabei sein heißt das plus 1.100,- Euro. Baut man stattdessen auf Schaltautomat mit Blipper sind es plus 800,- Euro.
Für uns heißt das: Mit Mehrfarbenlackierung und dem Tourenpaket, welches dann Hauptständer, Koffersatz und Topcase, sowie Lenkerheizung umfasst nähern wir uns laut Honda Konfigurator ganz schnell 18.000,- Euronen.
Dazu muss man den Weltenbummlern unter euch noch sagen, dass die Hondakoffer, welche blitzsauber am Heck integriert ihre Aufnahme finden, nur für 5 kg Gewicht freigegeben sind. Solo in Ordnung, aber mit Sozia ist das schlichtweg zu wenig. Greift man jetzt auf alternative und wertige Produkte wie z. B. auf SW-Motech zurück, die einen wirklich tollen Toplader-Koffersatz mit Topcase anbieten, sind es plus 1.300,- Euro auf der Rechnung. Günstiger wird es auch nicht bei den wirklich guten Koffern aus dem Hause GIVI. Dafür hat man bei diesen beiden Anbietern Zuladungen, die dem Geiste einer Tourenmaschine auch entsprechen.
Fazit: Honda hat hier eine wirklich wertige Maschine auf die Räder gestellt, die ein würdiger Nachfolger der ehrwürdigen Africa-Twin ist. Wer genau dies sucht, der wird sicherlich glücklich mit dem Produkt. Die neue Africa-Twin ist preiswert aber nicht günstig. Wahrscheinlich geht das bei heutigen Produktionen auch gar nicht mehr.
Stellen wir uns unsere Africa-Twin so zusammen, dass SIE dem Anspruch ihrer Urahnin gerecht wird, dann sind wir ganz schnell in einem Preissegment, welche andere Optionen durchaus als schlüssige Alternativen zulässt. 2.000,- Euro mehr investiert und ich bin bei einer gut ausgestatteten 1290er @venture von KTM oder bei der 1200er Triumph, sei es XC oder XR mit semiaktiven Fahrwerken, sowie Schaltautomaten mit Blipperfunktion. Aber das wird jetzt eher ein anderes Thema.
Bis dahin lasse ich euch mit dem Gedanken zurück: Ist weniger tatsächlich manchmal mehr!